Eine Erzählung von Kemal Yalçın
Im Leben sollst du nicht fragen, was du warst, sondern was du sein wirst.
Der Mensch braucht den Menschen, der Staat den Staat, die Nation die Nation.
In letzter Zeit schürt eine rechtsextreme, neonazistische Partei in Deutschland Fremdenfeindlichkeit und Hass gegen Flüchtlinge. Sie versucht, mit Ausländerfeindlichkeit Stimmen zu sammeln. Sie betreibt Türkenfeindlichkeit und Feindschaft gegen die Türkei. Sie verbindet Rassismus mit Islamfeindlichkeit und trägt dies in die politische Arena.
In Deutschland steht die Bundestagswahl bevor. In solch einer Zeit möchte ich an die internierten heimatlosen Deutschen erinnern, die zwischen 1933 und 1945 vor den Nazis in die Türkei flohen und von 1944 bis 1946 in Çorum, Kırşehir und Yozgat interniert wurden.
Der bekannteste unter den internierten heimatlosen Deutschen war Cornelius Bischoff, der von 1944 bis 1946 in Çorum lebte. Was für eine erstaunliche Wendung des Schicksals!

Cornelius Bischoff war der einzige Deutsche, der Türkisch mit allen Dialekten beherrschte und türkische Volkslieder liebte. 1939 floh er im Alter von 11 Jahren mit seiner Familie aus Deutschland in die Türkei. Neun Jahre seines Lebens verbrachte er in der Türkei. Er lernte Türkisch während seines Lebens als internierter heimatloser Deutscher mit seiner Familie in Istanbul und Çorum, und das Singen türkischer Volkslieder lernte er beim Reiten in der Ebene von Çorum.
Geboren wurde er am 4. September 1928 in Harburg. Sein Vater Eduard Bischoff war Zimmermann. Seine Mutter Berta Abronowitsch war jüdischer Abstammung. Ihre Vorfahren wurden 1492 während des Massakers der Katholiken an Juden und Muslimen im spanischen Andalusien vom Osmanischen Reich gerettet und in Serbien angesiedelt. Als die Osmanen sich aus Serbien zurückzogen, kamen sie nach Istanbul. Berta gehörte zu den sephardischen Juden Istanbuls.
Seine Mutter Berta verliebte sich in Eduard, sie heirateten 1927, und Berta zog mit Eduard nach Harburg. Sie war die erste Braut aus Istanbul in Harburg. Man nannte sie “Die Rose von Istanbul”. Sie waren glücklich. 1928 kam Cornelius zur Welt, später wurde seine Schwester Edith geboren.
Nach der Machtergreifung der Nazis am 30. Januar 1933 wurde das Leben der Familie Bischoff auf den Kopf gestellt. Zuerst floh Eduard 1938 nach Istanbul. Berta konnte 1939 mit den beiden Kindern über Paris und Marseille nach Istanbul nachkommen. Die Familie Bischoff floh vor den Nazis in die Türkei, weil Berta Abronowitsch eine Jüdin aus Istanbul war.
Am 2. August 1944 brach die Türkische Republik einseitig die diplomatischen Beziehungen zum Nazi-Deutschland ab und erklärte den Nazis den Krieg. Allen Deutschen in der Türkei wurde befohlen, das Land innerhalb einer Woche zu verlassen.
Zu dieser Zeit lebten etwa 1.400 Deutsche in der Türkei. Etwa 700 von ihnen waren Nazi-Agenten oder Anhänger des Nazi-Regimes. Sie kehrten nach Deutschland zurück. Die anderen 700 weigerten sich zurückzukehren. Die Nazis entzogen den Nichtrückkehrern sofort die Staatsbürgerschaft.

Die Internierten Heimatlosen Deutschen
Etwa 700 Deutsche blieben staatenlos, ohne Pass, ohne Heimat zurück. Die Türkische Republik gab diesen Deutschen einen Ausweis mit der Bezeichnung “HEIMATLOS”. Heimatlos bedeutete ohne Heimat, ohne Vaterland.
Von den heimatlosen Deutschen wurden etwa 300 Katholiken nach Çorum, etwa 200 Juden nach Kırşehir und etwa 200 Protestanten nach Yozgat interniert. Eduard Bischoff wurde mit seiner Frau Berta und den Kindern Cornelius und Edith am 24. August 1944 mit etwa 300 anderen deutschen katholischen Flüchtlingen nach Çorum gebracht und dort interniert.
Die internierten Deutschen durften nicht arbeiten, kein Radio hören, keine Post versenden und die Stadtgrenzen nicht verlassen. Sie mussten sich jede Woche bei der Polizei melden und “Wir sind hier!” sagen. Die internierten heimatlosen Deutschen mussten mit monatlich 10 Lira pro Person aus dem Erdbebenfonds des Roten Halbmonds auskommen.
Nach seiner Rückkehr nach Deutschland 1948 studierte Cornelius an der Universität Hamburg Jura. Er wurde Anwalt, praktizierte aber nie. 1961 eröffnete er den ersten Döner-Imbiss am Bahnhof Hamburg-Altona. Zehn Jahre lang betrieb er drei Imbisse und Dönerläden. 1971 verkaufte er seine Geschäfte und begann, Yaşar Kemals Roman “Memed mein Falke” zu übersetzen. Er wurde zum Neuschöpfer Yaşar Kemals in Deutschland und übersetzte alle seine Romane ins Deutsche.

Der türkischste Deutsche, der deutscheste Türke
Cornelius Bischoff war ein Mensch, der Spuren in der Geschichte der türkisch-deutschen Beziehungen des 20. Jahrhunderts hinterließ. Yaşar Kemal begrüßte ihn als “den türkischsten der Deutschen, den deutschesten der Türken!”
Cornelius Bischoff verstarb am 27. Juni 2018, nachdem er in seinen letzten Momenten an seine Jahre in Istanbul und Çorum und an seine Freunde in der Türkei gedacht hatte.
Wenn ich an Cornelius Bischoff denke, höre ich seine Worte: “Für mich ist die Türkei unvergesslich! Ich kann euch nicht vergessen! Die Türkei ist auch meine Heimat. Ich kann nicht ohne die Türkei sein!”